Wer schon einmal auf der Gamescom oder einer anderen Gaming-Messe unterwegs war, der kann schnell den Eindruck gewinnen, dass Spieleentwickler eine zumindest vom Alter her heterogene Zielgruppe haben.
Die Gänge sind voll mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen und schon Personen jenseits der 30 sind, sofern die Gamescom pandemiebedingt nicht digital stattfindet, in der Koelnmesse dann fast so etwas wie der Rote Panda, der das Firefox-Logo ziert. Man weiß zwar, dass es ihn gibt, aber gesehen wird er selten und wenn, dann höchstens im Zoo.
Doch wer jetzt denkt, dass Gaming so ein „Junge-Leute-Ding“ ist, über das Boomer und Prä-Boomer bestenfalls verständnislos den Kopf schütteln, der hat weit gefehlt. Mittlerweile ist die Gruppe der Ü-50 Spieler:innen nämlich größer als die im Bereich U-20. Von den 34,4 Millionen Menschen, die im Jahr 2020 mindestens gelegentlich zockten, waren 10,8 Millionen über 50. Unter 20 waren hingegen nur 8 Millionen. Doch wer sind diese mysteriösen zockenden Rentner:innen? Höchste Zeit für eine Spurensuche.
Ein Text von Matthias Schneider
Der/die durchschnittliche Spieler:in ist heute 37 Jahre alt. Im Jahr 2014 lag das Durchschnittsalter noch bei 31 Jahren. Damit ist klar: Zusammen mit der Gesamtbevölkerung werden auch Spieler:innen immer älter. Dafür gibt es zwei mehr oder weniger einfache Erklärungen. Wer in den 80er und 90er-Jahren mit Spielen „groß“ geworden ist, der ist häufig einfach dabeigeblieben. Das Medium ist gemeinsam mit seinen Konsumenten:innen erwachsen geworden. Gaming-PCs und -Konsolen zogen von den Kinderzimmern in Studentenbuden, schicke Großstadt-Lofts und sogar in die Pausenräume vieler Firmen.
Wer heute 30 oder 40 Jahre alt ist und sich als Spieler:in zu erkennen gibt, der muss heute nicht mehr fürchten, als Sonderling zu gelten. Und genauso wie die einst als Kinderspielzeug geschmähten „Daddelkisten“ überdauerten auch zahlreiche Spielereihen die Jahrzehnte und werden mittlerweile nahezu kultisch verehrt. The Legend of Zelda, Final Fantasy, Metal Gear und Resident Evil bringen auch heute noch regelmäßig erfolgreiche Fortsetzungen hervor oder erfinden alte Klassiker in Form von Remakes neu. Und auch wenn das fertige Produkt nicht bei allen Fans zu Begeisterungsstürmen führt (Ich sehe dich an Final Fantasy VII Remake!), ist es doch bezeichnend, wenn sich erwachsene Menschen bei einer entsprechenden Ankündigung wie Schneekönige freuen, einen solchen Klassiker ihrer Kindheit neu erleben zu dürfen.
Doch das allein erklärt den rasanten Altersanstieg nicht, immerhin wachsen ja auch jede Menge junge Spieler:innen nach. Es muss also auch Menschen geben, die auch ohne nostalgische Kindheitserinnerungen urplötzlich zum Medium Games greifen. Auch dafür gibt es einen Grund – oder eher zwei. Smartphones und Tablets. Denn während PC und Konsole zum einen teuer und zum andern nicht immer leicht zu bedienen sind, haben mobile Geräte mittlerweile den Einzug in zahlreiche Senioren Hand-, Hemd- und Hosentaschen gefunden und mit ihnen auch die Spiele.
Mobile-Spiele sind meist leicht zu installieren, zu bedienen und sie kosten viel weniger als ihre „großen“ Geschwister auf PC und Konsole. Heute hat also eine viel größere Gruppe an Menschen zumindest potenziellen Zugang zum Games-Markt. Das International Computer Science Institute in Berkeley fand heraus, dass bei Senioren digitale Versionen eigentliche analoger Spiele (Skat, Schach, Sudoko) am beliebtesten sind. Während Oma also früher mit ihren Freundinnen am Küchentisch Kanaster kloppte oder Opa zum Skat spielen in die Kneipe ging (die 50er-Jahre lasen Grüßen), spielen die beiden eben heute am Smartphone.
Und auch wenn sich dadurch nur ein verhältnismäßig kleiner Teil des Zuwachses an zockenden Senioren:innen erklären lässt, auch die Nintendo Wii ziert heute so manches Fernsehzimmer in Seniorenresidenzen. Die innovative Bewegungssteuerung lässt sich leicht erlenen, macht Spaß und hält fit. Das hat auch die Gesundheitsbranche erkannt und forscht schon seit Längerem an sogenannten „Health-Games“, also Spielen mit therapeutischer Wirkung. Sogar das renommierte Hans-Basedow-Institut forscht mittlerweile zu diesem Thema. Dabei stehen allerdings nicht nur Senioren im Fokus. Es geht dem Institut allgemein darum, das Potenzial von Spielen für die Gesundheitsförderung aufzuzeigen. Dabei geht es sowohl um Spiele, die drauf abzielen, die körperliche Fitness zu erhalten oder sogar steigern als auch um Spiele, die gesundheitsbezogenes Wissen vermitteln. Wäre es nicht praktisch, wenn man Chirurgen:innen künftig ein einem Simulator ausbilden oder fortbilden könnte? – Kein Problem! Und ich spreche hier nicht von dem zwar unterhaltsamen, aber für Ärzte:innen wohl eher ungeeigneten Surgeon Simulator, sondern von realitätsgetreuer medizinischer und chirurgischer Simulation. Dieses Potenzial haben abseits der Medizin auch zahlreiche Branchen erkannt und nutzen Spiele und das Know-how von Spieleentwicklern, um Lösungen für Probleme zu finden. Ein besonders erwähnenswertes Projekt heißt MiKompanion und soll krebskranken Kindern durch Augmented Reality die Angst vor der Behandlung nehmen. Bereits vor Therapiebeginn können sie sich spielerisch in einer virtuellen Umgebung mit den Aspekten der Bestrahlungstherapie auseinandersetzen. Das Potenzial von Spielen ist hier scheinbar endlos und noch lange nicht ausgeschöpft.
Der im Juni 2021 gegründete Fusion Campus, der seinen Sitz in Düsseldorf hat, beschäftigt sich genau mit diesem Thema, also mit der Frage, wie Gaming-Know-How in anderen Branchen genutzt werden kann. Die in der Gaming-Branche bereits bekannte Geschäftsführerin Stefanie Waschk beschreibt ihre Arbeit am Fusion Campus wie folgt:
“Das Medium Spiel ist wie man so schön sagt „in der Mitte der Gesellschaft angekommen“. Nicht nur die Möglichkeit der ortsunabhängigen Spielbarkeit auf mobilen Geräten hat die Präsenz im Alltag verstärkt, immer mehr rücken auch die im Spiel enthaltenen Mechanismen in unseren Fokus. Aspekte wie Motivation, Herausforderung, Ehrgeiz, Selbstverwirklichung, Feedback/ Belohnung und Neugier sind auch für Unternehmen anderer Wirtschaftszweige von Bedeutung. Stehen diese Mechanismen doch für die Tugenden, die Veränderung ermöglichen und die einen (notwendigen) Transformationsprozess und Innovation in der Wirtschaft fordern und fördern können. Dabei kommt Wissen aus vielen Bereichen, unter anderem der Lernpsychologie und den Kognitionswissenschaften zum Einsatz. Das Regelwerk eines Spiels, setzt die Basis für den notwendigen Wissens- und Kompetenzaufbau. In vielen Fällen ist das nur möglich, indem Spieler*Innen nicht nur eigenverantwortlich, sondern gemeinschaftlich oder mit Unterstützung anderer agieren. Die Korrelation zum Organisationskontext ergibt sich.
Nicht nur diese Aspekte machen Spiele auch außerhalb der Spielbrache so interessant. Spiele bedienen sich fortschrittlicher Technologien, analysieren Nutzerverhalten und sind (insbesondere im Online-Spielbereich) darauf ausgerichtet, sich kontinuierlich auf Basis der erhaltenen Dateninformationen weiterzuentwickeln – eine Grundlage moderner Kundenzentrierung.
Zusammengefasst: Spiele sind nicht nur hoch technologisiert, sondern vor allem innovativ, kreativ, nutzerorientiert und in der Lage, Netzwerke aufzubauen und zu motovieren, sie stehen für Entwicklung, Veränderung und Fortschritt. Und genau das macht sie für Wirtschaft, Wissenschaft & Forschung sowie Politik so interessant. Aus diesem Grund ist es unser Anliegen, mit dem Fusion Campus die unterschiedlichen Player zusammenbringen und aktiv dabei zu unterstützen, um diese Potentiale nutzbar zu machen.”
Doch was können wir davon lernen? Egal ob jung oder alt, gleich welches Geschlecht, egal ob auf dem PC, der Konsole oder dem Smartphone – spielen kann mittlerweile fast jeder. Und schließlich wusste ja schon Schiller, dass der Mensch nur dort wirklich Mensch ist, wo er spielt. Also GG Boomer!